Who cares?

Veröffentlicht am 28.04.2022 in OV-Zeitung

Arbeit neu denken

Beate Rothmaier

Wir arbeiten. Alle, jeden Tag. „Leistung muss sich wieder lohnen“, war seit 1982 die Devise und meinte mit den Leistungsträgern zuerst die Vermögenden und Gutverdienenden. In einem langen 'Reformprozess' änderte man die Arbeitswelt der Siebziger Jahre grundsätzlich: Steuern wurden gesenkt, Personalkosten durch Outsourcing gedrückt, soziale Sicherungssysteme zurückgeschnitten und der Druck auf Arbeitslose durch die Hartz-Reformen erhöht.

In der Folge schritt die Prekarisierung voran, und viele Menschen erlebten, dass ihre Leistung nicht mehr am nötigen Zeitaufwand sondern am Marktergebnis festgemacht wurde. Das hatte fatale Folgen für alle, die mit Alten, Kranken, Behinderten oder Kindern arbeiten. Denn, man kann immer schneller Autos produzieren, aber nicht schneller pflegen, Kinder betreuen oder gebären.

Jeder schätzt die Produktionsarbeit, mit der vom Gemüse bis zum Kinderspielzeug hergestellt wird, was die Gesellschaft braucht oder exportieren will.

Ebenso wichtig ist jedoch die Care- oder Reproduktionsarbeit, die Menschen erst dazu befähigt, produktiv zu sein: kochen, Kinder erziehen, Haare schneiden, Wäsche waschen, Räume putzen, Dinge liefern, Kranke operieren, alte Menschen pflegen.

Die größte Arbeitsleistung in der Menschheitsgeschichte aber ist das Kochen, so der Historiker Jürgen Osterhammel. Allein der Wert der unbezahlten Arbeit für das Zubereiten von Mahlzeiten ist größer als die Wertschöpfung des ganzen Finanzsystems, bestätigt eine Schweizer Studie.

So bildet die Care- oder Reproduktionsarbeit das Fundment, auf dem Wirtschaftsleistung, Wohlstand und gesellschaftlicher Zusammenhalt des Landes ruhen. Kann das Fundament das Gewicht nicht mehr tragen, weil die Menschen zusammenbrechen, gerät das ganze Gebäude in Schieflage und kippt.

Es gibt wenig differenziertes Datenmaterial, doch laut Bundesamt für Statistik wendeten die privaten Haushalte im Jahr 2013 für die unbezahlte Arbeit mit 89 Milliarden über ein Drittel mehr Zeit auf als gegen Bezahlung gearbeitet wird. Der größte Teil dieser Arbeit wird von Frauen geleistet und entspricht 39% der im BIP enthaltenen Bruttowertschöpfung. Bei einem angenommenen Mindestlohn von 9,25 Euro ergibt das einen Wert von 826 Mrd. Euro.

Das sind 46 Milliarden mehr als die Nettogehälter aller Arbeitnehmer. Unser Wirtschaftssystem ist auf dem Rücken unbezahlt arbeitender Frauen errichtet.

Adam Smith, 'Vater der Nationalökonomie' und einer der Vordenker des Wirtschaftslibe- ralismus wohnte bei seiner Mutter, die für ihn putzte und kochte. Ihre Arbeit kam in seiner Theorie jedoch nicht vor. Unbezahlt geleistete Haus-, Sorge- und Pflegearbeit muss wertgeschätzt und sollte entgolten werden. Ein Anfang könnten Rentenansprüche in derselben Höhe sein, wie sie aus entsprechender Erwerbsarbeit entstehen.

Wollen wir an der kapitalistischen Grundordnung festhalten, muss die unbezahlte Arbeit in Modellberechnungen wie das BIP oder eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) einfließen. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerinnen wie Madörin, Winker, Soiland, Haidinger und Knittler entwickeln dazu schon lange Konzepte wie z.B. die vieldiskutierte Vier-in-einer-Perspektive von Frigga Haug. Die unterteilt einen Menschentag von sechzehn Stunden in je vier Stunden Erwerbsarbeit, Care-Arbeit (für andere oder sich selbst), Kulturelles und die eigene Entwicklung (wie reisen, tanzen, Musik machen, Sprachen lernen), und vier Stunden bürgerschaftliches Engagement in Parteien, Vereinen oder im Ehrenamt, um die Demokratie zu stärken.

Am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, haben wir frei und Zeit, darüber nachzudenken – auch und gerade in der SPD – wie wir Arbeit künftig definieren und verteilen wollen.

Ob wir weiter einer Work-Life-Balance nachjagen, oder ob nicht alle so viel von dem machen können, wie sie wollen, weil alles zusammengehört.