Mai 2020: KLARTEXT - Kommentar zur Haushaltssperre

Veröffentlicht am 01.05.2020 in Standpunkte

Was heißt hier Freiwilligenleistung?

Kommentar zur Haushaltssperre

Die Bedeutung von Kultur und Sozialem für die Gesellschaft der Stadt

Die Haushaltssperre, die der Gemeinderat der Stadt Ellwangen am 28.5. 2020 mit 25 zu 6 Stimmen beschlossen hat, sendet ein fatales Signal.

Die Schuldenbremse ist eins der prominentesten Opfer des Coronavirus. Auf Bundesebene konnte sie nicht aufrecht erhalten werden. Zum Glück für viele, die in Zeiten der Krise Unterstützung aus Steuermitteln erfahren.

Fatal ist das Signal aus Ellwangen deshalb, weil die ordoliberale Maxime der Austeritätspolitik in Zeiten finanzieller Enge, spätestens seit der Finanzkrise und der Drangsalierung südeuropäischer Staaten durch EWZ, EU und IWF, als unwirksam belegt ist. Außer dem Sturz vieler Menschen aus den sozialen Sicherungssystemen und dem erzwungenen Verkauf staatlicher Infrastruktur an ausländische Investoren (Stichwort der Hafen von Piräus, Stichwort neue Seidenstraße) hat sie kaum dazu beigetragen, neues Wachstum zu generieren und es den betroffenen Ländern verunmöglicht eine neue Rolle in der EU zu finden. Schon seit über hundert Jahren gibt es den gegenteiligen Ansatz des britischen Wirtschaftswissenschaftlers John Maynard Keynes, der in Zeiten finanzieller Enge verstärkte Investitionen auch um den Preis einer höheren Schuldenlast und entsprechend längerer Tilgungszeiten fordert. Durch Investitionen die Zukunft sichern, ist die Grundüberlegung.

Fakt ist. Wir haben seit Jahren eine Nullzinspolitik, die es der öffentlichen Hand ermöglicht, sich günstig zu finanzieren. Fakt ist auch. Corona wird finanzielle Engpässe auf bundes-, landes- und kommunalpolitischer Ebene verursachen. Konjunkturkrise, Haushaltseinbrüche, Zukunftsangst — was tun?

Die Stadt Ellwangen hat für sich die Lösung in einer Haushaltssperre gefunden und sie im vorauseilenden Gehorsam beschlossen, noch bevor die coronabedingten finanziellen Verluste absehbar sind, und bevor die coronabedingte Unterstützung der kommunalen Finanzen von Seiten des Bundes oder des Landes entschieden war.  Sparen liegt uns, sagt ein gängiges Vorurteil über die Schwaben. Haushalten und sparen sind aber zwei Paar Schuhe.

Klug haushalten bedeutet in Zeiten der Krise eben nicht, Investitionen zurückzstellen, sondern im Gegenteil – auch wenn es privat- und betriebswirtschaftlichen Impulsen zuwiderläuft – für die Zukunft zu investieren. Eine Stadt, und mag sie noch so klein und scheinbar bedeutungslos im strukturschwachen Gebiet gelegen sein, kann gerade jetzt in die Zukunft investieren: im Hinblick auf die Landesgartenschau 2026, auf eine Pflegeakademie, auf den Zuzug von Familien und Arbeitnehmer*innen jeden Alters, die in den leistungsstarken mittelständischen Betrieben, den Bildungs- und Pflegeeinrichtungen dringend gebraucht werden. Ellwangen glänzt durch seine Bestandsgüter, die so nur wenige Städte haben:  die großartige, weitläufige Naturlandschaft, eine vielhundertjährige aufregende Geschichte, eine tolerante, weltoffene Einwohnerschaft, Kunst und Kultur, Museen, Bäder, neue Einwohner*innen aus aller Welt, nicht zuletzt ausgezeichnete Schulen und Bildungsstätten.


Die Haushaltssperre bezieht sich auf eine eindrucksvolle Liste so genannter „Freiwilligkeitsleistungen“, in meinen Augen absolut notwendige Einrichtungen.

Dazu gehören das Alamannenmuseum, das Alleinerziehendennetzwerk, die Altenarbeit, Ausstellungen, Zuschüsse an die Bäder, das bürgerschaftliche Engagement, die Dorfgemeinschaftshäuser, den Familienpass, die Frauenbeauftragte, Ferienbetreuung und Schülerhorte, Fremdenverkehr und Tourismus, das Kulturamt, Jugendbeauftragte, Jugendsozialarbeiter, Jugendblasorchester, freiwillige Jugendhilfe, Jugendzentrum. Ferner Konzerte, kulturelle Beziehungen, Städtepartnerschaften, Märkte, die Musikschule, die Öffentlichkeitsarbeit, das Palais Adelmann, die Parks und Gartenanlagen, die Schlauchwerkstatt der Feuerwehr, die Schulsozialarbeit, den Seniorenrat, die Sportförderung, die Stadtbibliothek, der Stadtbus, der Kalte Markt, die Pferde- und Heimattage, die Faschingsveranstaltungen, die Volkshochschule und das Citymanagement.

Insgesamt betreffen von dieser Liste vierzehn die Kultur und vierzehn das soziale Engagement für Familien, Frauen, Jugendliche, Alte und sozial Schwächere. Einige treffen den Kern von Ellwanger Traditionen wie den Kalten Markt, die Heimattage, das Palais Adelmann, die Bäder. Die Haushaltssperre kürzt nicht die Mittel all dieser Einrichtungen und Engagements, könnte sie aber betreffen, wenn der OB, der Kämmerer gemeinsam mit den Jasagern im Gemeinderat dies für notwendig erachten.

Ich schreibe hier als Schriftstellerin und Sozialdemokratin und frage mich angesichts dieser Entscheidung, was  sowohl Kultur als auch Soziales für Ellwangen und seinen gesellschaftlichen Zusammenhalt bedeuten. Sind sie ein „Nice-to-have“ oder ein existenzielles Lebensmittel. Der Begriff „Freiwilligenleistung“ suggeriert ja, dass es sich bei den oben erwähnten Engagements der öffentlichen Hand um einen optionalen Beitrag handelt, auf den auch verzichtet werden könnte. Das verkennt die Bedeutung von Kultur und Sozialem nicht nur für die Gesellschaft, sondern für jeden einzelnen Menschen.  Bereits 2010 stellte der Deutsche Kulturrat in einem Positionenpapier fest: „Kunst und Kultur haben eine herausragende Bedeutung für die Gesellschaft. Für jeden einzelnen Menschen sind Kunst, Kultur und kulturelle Bildung wesentlich. (…) Trotz der zentralen Bedeutung von Kunst, Kultur und kultureller Bildung für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft insgesamt sind diese Bereiche immer wieder von Kürzungswellen betroffen. Sie werden teilweise lediglich unter finanziellen Gesichtspunkten betrachtet und nur als Nutznießer und Empfänger öffentlicher Gelder aus den Taschen der Steuerzahler gesehen. Eine solche Betrachtung lässt außer Acht, dass es sich bei der Förderung von Kunst, Kultur und kultureller Bildung um keine Subvention sondern vielmehr um eine Investition handelt.“

In diesem Sinne wünsche ich mir großes und mutiges Engagement meiner Heimatstadt für ein kulturell bedeutungsvolles und soziales Ellwangen und hoffe auf das rasche Ende der Haushaltssperre, die Kultur, Soziales und Traditionen und in ihnen den Kern der Identität Ellwangens bedroht.

Beate Rothmaier
Autorin/Texterin und stellvertretende Vorsitzende der SPD Ellwangen