Schule: Wie aufholen nach Corona?

Veröffentlicht am 28.04.2022 in OV-Zeitung

Ein Gespräch mit Thomas Geist, Schulleiter der Marienpflege

Die Fragen stellte Ariane Bergerhoff. Hier lesen Sie das Interview in voller Länge.

„Der Höhepunkt der Omikron-Welle ist überschritten“ so unser Gesundheitsminister Karl Lauterbach am 15. Februar 2022. Herr Geist, wie fühlen Sie sich?

Ich fühle mich derzeit erschöpft! In den letzten zwei Jahren kam für uns Schulleitungen das Corona-Management an der Schule und gleichzeitig die Digitalisierung mit den unterschiedlichen Förderprogrammen, zu unserer alltäglichen Arbeit einfach hinzu.

Auch wenn jetzt die hohen Wellen gebrochen zu sein scheinen, die Folgen der Coronapandemie werden wir in den Schulen noch jahrelang zu spüren haben. Das gilt zwar nicht für alle Schüler, besonders aber für diejenigen, die auch vor der Pandemie schon ihre Schwierigkeiten mit der Schule hatten. 
 

Von den Schulschließungen waren Ihre Schülerinnen und Schüler betroffen. Konnten Sie diese in den Wochen zuhause überhaupt erreichen? Wie ist es Ihnen gelungen? Wo sehen Sie Erfolge und wo gab es Probleme?

 

Ich arbeite ja einem sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum, das bedeutet, unsere Lehrer kennen die individuellen Bedürfnisse der Schüler und ihren Familien etwas besser als an vielen allgemeinen Schulen. Es war uns immer wichtig, nicht nur irgendwie den Lernstoff zu vermitteln, sondern insbesondere den Kontakt zu den Familien zu halten. Häufig haben die Lehrer ihre Lernpakete mit dem Auto ausgefahren, so dass immer auch noch Zeit blieb, an der Haustüre mit den Kindern oder Eltern zu sprechen. Besonders die älteren Schüler haben wir über Videokonferenzen unterrichtet, was nicht immer ganz einfach war, da jede Familie ganz unterschiedliche Voraussetzungen in Bezug auf digitale Ausstattung wie W-LAN und so weiter hat.

Unsere extra angeschafften Leihgeräte für Schüler waren sehr schnell vergriffen.
Es gibt aber auch eine ganz erhebliche Anzahl an Schülern, die sehr schlecht zu erreichen waren und bis heute Schwierigkeiten haben, wieder in den Schulalltag zurückzufinden. Das geht übrigens allen Schulen so, das erfahre ich täglich innerhalb unseres sonderpädagogischen Dienstes an anderen Schulen.
 

Was hat Ihnen besonders zu schaffen gemacht? Was muss besser werden und welche Unterstützung brauchen Sie als Schule?

 

Die Pandemie kam für alle ja recht schnell und ohne große Vorankündigung. Was aber in den letzten Jahren im Bereich der Digitalisierung von politischer Seite her verschlafen wurde, fiel uns nun umso schwerer auf die Füße. Gleichzeitig war während des ersten Lock-Downs eine große Verunsicherung bei allen deutlich spürbar. Am schwersten hatten es aber die Eltern, die plötzlich im Spannungsfeld ihrer eigenen Arbeitsstelle und dem Homeschooling ihrer Kinder gestanden haben. Das war für Familien mit mehreren Kindern oder für Alleinerziehende fast nicht zu bewältigen. Erst, als der Begriff „Notbetreuung“ etwas weiter gefasst wurde, gab es eine leichte Entspannung. Somit konnten wir viele Kinder wieder besser in den Präsenzunterricht einbinden und die Familien entlasten.

 
Wir Schulleitungen haben häufig erst freitagnachmittags von Änderungen erfahren, die ab Montag umgesetzt werden mussten, auch das habe ich als enorm schwierig erlebt.

 

Viele sagen, dass die Digitalisierung an den Schulen einen enormen Schub erhalten hat und man so der Situation wenigstens ein bisschen etwas Positives abgewinnen könnte. Wie sehen Sie das?

 

Vom Grundsatz her kann ich dieser Aussage gerne folgen. Innerhalb kurzer Zeit gab es unterschiedliche Förderprogramme: Der Digitalpakt 2019-2024 als „das“ große Paket, die Schüler- und Lehrerleihgeräte, die IT-Administration – sprich: es stand innerhalb sehr kurzer Zeit relativ viel Geld zur Verfügung und musste fristgerecht verausgabt werden.

Von der Technik her haben wir einen guten Stand erreicht, nun ist es wichtig, auch die beteiligten Lehrer, Schüler und Eltern einzubinden und in die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten der digitalen Endgeräte weiterzubilden. Erst dann kann ich einen positiven Schlussstrich ziehen. Ich hoffe sehr, dass es hierfür ausreichend Fortbildungsangebote gibt und diese nicht einem Sparzwang unterliegen.
 
 
Was würden Sie sagen, war für Sie die wichtigste Erkenntnis, die Sie aus dieser Pandemie mitnehmen werden?
 
Interessant war, dass die neue Kultusministerin Theresa Schopper in ihrem Antrittsschreiben an die Schulen betont hat, dass nach der Wiedereröffnung der Schulen, nicht nur auf den Leistungsgedanken in Form von Schulnoten geachtet werden soll, sondern die Lehrer bat, gleichrangig die sozialen und emotionalen Faktoren der Schüler im Blick zu haben. Diese Bitte der Ministerin hat mir aus dem Herzen gesprochen! …. und bietet aber auch Anlass für Selbstkritik unseres eigenen Berufstandes! Die Zahl der Schüler, die aktuell mit dem Thema „Schulverweigerung,“ „Schulangst“ bei den Beratungsstellen oder bei mir aufschlagen, gibt Anlass zur Sorge.
Die Schule der Zukunft sollte also die Kinder wieder ganzheitlicher betrachten, sie sind keine Lernmaschinen.

 

Wie geht es Ihren Schülerinnen und Schülern heute? 

 

Ich würde hier in zwei Schülergruppen unterscheiden: Es gibt diejenigen, die froh und dankbar sind, wieder in Gemeinschaft lernen zu können. Die andere Gruppe tut sich enorm schwer, sich wieder in die Gemeinschaft einzufinden. Da das Medienangebot zuhause oft attraktiver ist als in der Schule, haben sich einige Kinder an lange Zeiten vor ihren Spielkonsolen und ähnlichem gewöhnt. Einige Schüler sind „wie abgetaucht“.

 

Wie war die Zusammenarbeit mit den Eltern? Wie war deren Rückmeldung?

 

Zu Beginn der Pandemie mussten wir zuerst mal alle E-Mail-Adressen der Erziehungsberechtigten abfragen, da der übliche Kommunikationsweg in Briefform recht aufwändig und kompliziert gewesen wäre. Ich habe dann in regelmäßigen Abständen die Eltern über Veränderungen im Schulbetrieb informiert, fast jede Mail endete mit „… ich danke für ihr Vertrauen und Verständnis..!“ Das war aber keine leere Floskel, sondern sehr ernst gemeint: Bis auf wenige Ausnahmen haben die Eltern die Maßnahmen wie die Test- und Maskenpflicht bis hin zur kompletten Schließung der Schule akzeptiert und mitgetragen.

Was ich aber auch erlebe, ist, dass Eltern, die mit ihren Kindern nun in Schwierigkeiten stecken, sich nicht von alleine bei der Institution „Schule“ melden und um Rat fragen, häufig müssen wir den Familien hinterherlaufen.

 

Wie wollen Sie entstandene Lern- aber auch Erlebens-Lücken bei den Schüler*innen schließen?

 

Derzeit führen wir das Förderprogramm „Lernen mit Rückenwind“ durch. Dieses Programm soll dazu dienen, entweder entstandene Lernlücken in den Kernfächern zu schließen oder auch Rückstände in sozial-emotionaler Entwicklung auszugleichen. 

Da wir als Ganztagesschule ausreichend Lernzeit haben, werden wir die fachlich-inhaltlichen Lernlücken über eine gewisse Zeit selbständig ausgleichen können. Deshalb haben wir uns entschlossen, mit einem externen Anbieter mehr in Richtung Teambuilding, Konfliktfähigkeit und Sozialtraining mit unseren Klassen zu arbeiten. Ich glaube, dieser positive Effekt ist für uns derzeit wertvoller als „Nachhilfeunterricht“ zu erteilen.

 

Welche Hilfestellungen wären nun sinnvoll?

Derzeit steht noch die Krisenbewältigung an. Wenn die Einschränkungen mal vorbei sind, würde ich mir aber von der Landesregierung wünschen, dass die Schulen etwas Zeit bekommen, sich selber wieder etwas sortieren zu können, um an ihren Kernthemen der Schulentwicklung zu arbeiten. Bitte nicht gleich wieder die nächsten Vorgaben, die umzusetzen sind.

 

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich wünschen? 

 

Meine Hoffnung ist, dass wir als Schule nicht dem Effekt „Zurück zur Normalität“ unterliegen. Die „neue Normalität“ wird dann gut sein, wenn wir die richtigen Lehren aus der Pandemie ziehen, also Antworten auf Fragen finden wie zum Beispiel: „Wie können wir in Zukunft viel besser die benachteiligten Schülergruppen einbeziehen und erreichen?“ Es bleibt aber keine rein schulische Herausforderung: Auch innerhalb der Kommune müssen wir diese Frage beantworten, etwa über Ferien- und Freizeitprogramme, die den Kindern und Jugendlichen den Mehrwert von Gemeinschaft vermittelt. Für mich als Schulleitung wünsche ich mir natürlich mehr zeitliche Entlastung für die vielfältigen Aufgaben.

Wie geht es Ihren Schülerinnen und Schülern heute? 

 

Ich würde hier in zwei Schülergruppen unterscheiden: Es gibt diejenigen, die froh und dankbar sind, wieder in Gemeinschaft lernen zu können. Die andere Gruppe tut sich enorm schwer, sich wieder in die Gemeinschaft einzufinden. Da das Medienangebot zuhause oft attraktiver ist als in der Schule, haben sich einige Kinder an lange Zeiten vor ihren Spielkonsolen und ähnlichem gewöhnt. Einige Schüler sind „wie abgetaucht“.

 

Wie war die Zusammenarbeit mit den Eltern? Wie war deren Rückmeldung?

 

Zu Beginn der Pandemie mussten wir zuerst mal alle E-Mail-Adressen der Erziehungsberechtigten abfragen, da der übliche Kommunikationsweg in Briefform recht aufwändig und kompliziert gewesen wäre. Ich habe dann in regelmäßigen Abständen die Eltern über Veränderungen im Schulbetrieb informiert, fast jede Mail endete mit „… ich danke für ihr Vertrauen und Verständnis..!“ Das war aber keine leere Floskel, sondern sehr ernst gemeint: Bis auf wenige Ausnahmen haben die Eltern die Maßnahmen wie die Test- und Maskenpflicht bis hin zur kompletten Schließung der Schule akzeptiert und mitgetragen.

Was ich aber auch erlebe, ist, dass Eltern, die mit ihren Kindern nun in Schwierigkeiten stecken, sich nicht von alleine bei der Institution „Schule“ melden und um Rat fragen, häufig müssen wir den Familien hinterherlaufen.

 

Wie wollen Sie entstandene Lern- aber auch Erlebens-Lücken bei den Schüler*innen schließen?

 

Derzeit führen wir das Förderprogramm „Lernen mit Rückenwind“ durch. Dieses Programm soll dazu dienen, entweder entstandene Lernlücken in den Kernfächern zu schließen oder auch Rückstände in sozial-emotionaler Entwicklung auszugleichen. 

Da wir als Ganztagesschule ausreichend Lernzeit haben, werden wir die fachlich-inhaltlichen Lernlücken über eine gewisse Zeit selbständig ausgleichen können. Deshalb haben wir uns entschlossen, mit einem externen Anbieter mehr in Richtung Teambuilding, Konfliktfähigkeit und Sozialtraining mit unseren Klassen zu arbeiten. Ich glaube, dieser positive Effekt ist für uns derzeit wertvoller als „Nachhilfeunterricht“ zu erteilen.

 

Welche Hilfestellungen wären nun sinnvoll?

Derzeit steht noch die Krisenbewältigung an. Wenn die Einschränkungen mal vorbei sind, würde ich mir aber von der Landesregierung wünschen, dass die Schulen etwas Zeit bekommen, sich selber wieder etwas sortieren zu können, um an ihren Kernthemen der Schulentwicklung zu arbeiten. Bitte nicht gleich wieder die nächsten Vorgaben, die umzusetzen sind.

 

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich wünschen? 

 

Meine Hoffnung ist, dass wir als Schule nicht dem Effekt „Zurück zur Normalität“ unterliegen. Die „neue Normalität“ wird dann gut sein, wenn wir die richtigen Lehren aus der Pandemie ziehen, also Antworten auf Fragen finden wie zum Beispiel: „Wie können wir in Zukunft viel besser die benachteiligten Schülergruppen einbeziehen und erreichen?“ Es bleibt aber keine rein schulische Herausforderung: Auch innerhalb der Kommune müssen wir diese Frage beantworten, etwa über Ferien- und Freizeitprogramme, die den Kindern und Jugendlichen den Mehrwert von Gemeinschaft vermittelt. Für mich als Schulleitung wünsche ich mir natürlich mehr zeitliche Entlastung für die vielfältigen Aufgaben.