Fanny Imle – Eine Ungewöhnliche Frau aus Ellwangen
Beate Rothmaier
An einem warmen Abend im Sommer 1900 schwimmt eine junge Frau bis in die Mitte des Zürichsees hinaus. Sie ist hochschwanger und fast blind. Es ist die 1878 in Ellwangen geborene Offizierstochter Fanny Imle, die seit einem Semester an der Universität Zürich Philosophie studiert. Wissbegierig und politisch wach engagiert sie sich in der lebendigen europaweit vernetzten Bewegung der Anarchisten. Da stellt sie fest, dass sie schwanger ist.
„Der Vater des Kindes ‘achte sie hoch’, käme aber über ihre Augen nicht hinweg…“, notiert Josepha Kraigher-Porges eine Zeitzeugin in ihrem Tagebuch. So wird Fanny Imle alleinerziehende Mutter, was sie nicht davon abhält, vier Jahre später in Freiburg als eine der ersten Frauen ihren Doktortitel in Politikwissenschaft mit einer Arbeit über die frühen Tarifverträge zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu erwerben.
Das einzige Foto, das es von ihr gibt, zeigt sie mit kurz geschnittenem Haar und einem kleinen Schwangerschaftsbäuchlein, neben sich ihr Führhündchen. „Frisch, schön, unter feinem Blondhaar strahlende Augen, die wie dunkle, unruhig irrende Quellen zwischen festen Ufern aussahen. Diese Zweiundzwanzigjährige war vollständig blind, hatte aber einen phänomenalen Orientierungssinn und starken Lebenswillen. Sie war den ganzen Abend intensiv und begeistert an ihre sozialen Ideale hingegeben und verweilte keine Sekunde bei sich. Nur von ihrem zwei Monate alten Bübchen sprach sie lächelnd einige Minuten.“ So beschreibt Kraigher-Porges sie, nachdem sie ihr begegnet ist.
Mit ihrer Arbeit Der Bleibergbau in Mechernich 1909 verfasst Fanny Imle eine der ersten wegweisenden Studien der Sozialwissenschaften. Die 31-jährige verlässt die Theorie und erarbeitet Fragebögen, mit denen sie bei den Bergarbeitern deren miserable Arbeitsbedingungen erhebt und auswertet.