Von der Notwendigkeit sozialdemokratischer Politik

Veröffentlicht am 27.08.2021 in OV-Zeitung
DER DENKER (Foto © Josef Lehmann)

Wollmäuse und andere Reste

von Beate Rothmaier

"Schafft sich ab", "zerlegt sich selbst", diese und andere Kommentare und Urteile politisch vermeintlich kluger Menschen, wie auch die Umfrage- werte der Meinungsforschungs- institute, sehen die SPD auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit. Woher der Abgesang? Brauchen wir die SPD noch? Welche Rolle spielen sozialdemokratische Errungenschaften in unserem Alltag?

Übrig bleiben: Negative Reste
Der Philosoph Odo Marquard hat das "Gesetz von der zunehmenden Penetranz der negativen Reste" formuliert. Damit meint er, dass bei der Abschaffung schlimmer Zu- stände oder bei der Lösung von Problemen, immer etwas unbe- wältigt zurückbleibt, und dass dieser Rest umso schwerer im Bewusstsein wiegt, je größere Verbesserungen vorher erreicht wurden: Wenn ich die ganze Wohnung blitzblank geputzt habe, fallen mir die drei Wollmäuse unterm Bett, die ich übersehen habe, umso deutlicher auf. Unfair, aber ein Gesetz der menschlichen Wahrneh- mung.

Was also hat die Sozialdemokratie außer dem Kniefall von Warschau, dem Standhalten gegenüber dem RAF-Terror, der Verweigerung in den Irakkrieg zu ziehen, diesem Land gebracht?

Vieles. Das Aufstiegsversprechen durch Bildung, gesetzliche Rente und Krankenversicherung, das Frauen- wahlrecht, der Achtstundentag, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Mitbestimmung, Abschaffung des §218, zuletzt die Ehe für alle, die Einführung des Mindestlohns und der Grundrente — all das sind Errun- genschaften sozialdemokratischer Politik. Vieles davon berührt den Alltag jedes Menschen, der in diesem Land lebt. Täglich. Das hat die Partei der Arbeit, die unermüdlich arbeitet, gebracht. Auch als Koalitionspartner, auch wenn sie nicht die Kanzlerin gestellt hat.

Die Grenzen des Neoliberalismus
Die Pandemie zeigt deutlich, dass die Liberalisierung der Märkte da eine Grenze findet, wo es um Daseinsfürsorge und das Gemeinwohl geht: Gesundheitswesen, Pflege, Kommunikations-, Verkehrs-, Bildungsinfrastruktur. Hier richtet der Markt für die Shareholder vieles, für die Allgemeinheit jedoch wenig.

Sozial geht auf das lateinische socius (gemeinsam) zurück. In einer verein- zelten, individualistischen Welt, die von Partikularinteressen und einem künstlichen Kampf alt gegen jung zerrissen wird, ist der Gedanke des solidarischen Handelns und des Angewiesenseins aufeinander zent- ral für das Fortbestehen der Demo- kratie. Denn die wichtigen Aufgaben der Zukunft können wir nur zusammen bewältigen: Klimawandel, Digitalisierung, europäische Eini- gung, Frieden.

Der Mensch ist ein soziales Wesen.

Bereits Aristoteles bezeichnete den Menschen als 'zoon politikon', zu deutsch als soziales (politisches) Wesen, auch Charles Darwin sah den Menschen als einen, der die Gemeinschaft sucht, doch erst durch die Sozialpsychologie wurde klar, dass der Mensch ein soziales Wesen nicht nur gern ist, sondern sein muss, weil er sonst von Geburt an nicht überleben kann. Damit die ganze Menschheit überleben kann, brauchen wir einen gesunden Planeten. Damit jeder einzelne überleben kann, brauchen wir Solidarität. Politik ist künftig nur denkbar als eine, die Ökologie als eine soziale und jede Umweltaufgabe als eine gemeinsame versteht. Sprich: Keiner kann allein das Klima retten.

Solidarisch auf und mit diesem Planeten überleben
Die Zukunft muss nicht nur ökologisch, sondern auch sozial gestaltet werden. Deshalb braucht es auch künftig die Sozialdemokratie und die SPD. So einfach. So unabwendbar als politische Einsicht für alle, die nicht nur auf den eigenen Vorteil und die größtmögliche Profitmaximierung innerhalb der eigenen Lebenszeit schauen, sondern verstehen, dass sie einer Gemeinschaft angehören, die sie braucht und die sie brauchen, auf einer Welt, die wir alle brauchen, und im Sinne einer internationalen, globalisierten Zusammenarbeit erhalten müssen: Es geht im Grund um alles.

Kleine Reste und das große Ganze
Es geht um das große Ganze, auch wenn im Wahlprogramm die kostenfreie KiTa, das Bürgergeld, die Stärkung der pflegenden Angehörigen und vieles andere steht, all die kleinen Reste eben, die es neben den ganz großen Zukunftsaufgaben auch noch zu bewältigen gilt.

Nur ein politischer Mitspieler packt diese "penetranten" Ungerechtigkeiten und die großen Zukunftsaufgaben wie eine globale Unternehmenssteuer oder die sozial verträgliche Klimarettung gleichermaßen an: Die SPD.